Hieronymus Schneidewind

In den Vorzimmern der Verlage und Rundfunkanstalten wimmelt es nur so von subalternen Lektoren und Redakteuren vom Schlage eines Hieronymus Schneidewind, die nach oben duckend und nach unten tretend ihr Dasein als selbsternannte kleinabsolutistische Herrscher über Glück und Leid der armen Schreiberseelen fristen: Vom Schicksal in Sachen Kreativität allzu stiefmütterlich behandelt oder aber zu feige, die Entbehrungen und Unwägbarkeiten eines Künstlerlebens auf sich zu nehmen, rächen sie sich an ihrem Schicksal oder auch an sich selbst, indem sie den weniger Kleinmütigen und den Begabteren das Leben zur Hölle machen. Nichts, aber auch gar nichts darf an ihnen vorbei, es sei denn die geistigen Produkte ihrer Opfer sind noch kleiner und niedriger als ihr eigener Geist. Ist letzteres nicht der Fall, stampfen sie diese Produkte derart zusammen, dass das künstlerische Werk all seine Einzigartigkeit und Großartigkeit verliert. In Zeiten diktatorischer Verhältnisse können aus diesen Zensoren sogar ab und an mächtige Staatsleute werden. Und indem sie derart auf alles und jeden ihre „Hundemarken“ setzen, erschaffen sie im wahrsten Sinne die Welt nach ihrem Geruch oder Bilde.
Wie dieser Vorstuben-Absolutismus funktioniert, fragen Sie sich? Ganz einfach: Indem der Lektor sein eigenes geistiges Niveau zur Messlatte erhebt, bestimmt er das Niveau der Leserschaft eines gesamten Landes und damit entsteht ein Teufelskreis, an dessen Ende nur noch die absolute Geistlosigkeit stehen kann, die aber damit dann letztendlich auch Beruf und Berufung des Lektors überflüssig macht. Denn was sollen Lektoren vom Schlage eines Schneidewind dann noch verwalten, wo der Geist abhanden gekommen ist und damit Verwalter und Verwaltetes deckungsgleich geworden sind?
Ja aber in welchem Verlag saß denn nun dieser kleingeistige Lektor Hieronymus Schneidewind? Das ist eigentlich völlig unwichtig. Er kann überall gesessen haben. Dennoch habe auch ich mir natürlich diese Frage gestellt:
Erich Kästners erster Verleger war der Verlag Curt Weller & Co. in Leipzig, in dem 1928 sein erstes Buch „Herz auf Taille“, eine Sammlung von Gedichten aus der Leipziger Zeit, erschien.

  Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Schneidewind in diesem sehr jungen und progressiven Verlag gearbeitet hat, der stark durch seinen charismatischen Spiritus Rector Curt Weller geprägt war. Analoges gilt für den Berliner Verlag Williams & Co., in dem die rührige Edith Jacobsohn, die Witwe des „Weltbühne“-Verlegers Siegfried Jacobsohn, schützend die Hand über Erich Kästner hielt und ihn animierte, Kinderbücher für ihren Verlag zu schreiben. 1929 erschien mit großem Erfolg bei „Williams & Co. „Emil und die Detektive“. In Leipzig arbeitete Kästner für den Verlag Otto Beyer, einen 1890 gegründeten Großverlag. Obgleich er ab 1926 in der in diesem Verlag erschienenen Familienzeitschrift „Beyers für Alle“, bzw. seit 1928 bis 1932 in der „Kinderzeitung von Klaus und Kläre“ fast 200 Artikel, Geschichten, Gedichte, Rätsel und kleine Feuilletons geschrieben hat, kommt auch dieser Verlag nicht in Frage. Denn Otto Beyers Verlagsprogramm beinhaltete keine derartigen Bücher wie „Auf dem Rücken der Weisen Schildkröte“.
Auf der Basis dieses Ausschlussverfahrens glauben wir zu wissen, welcher Verlag es gewesen sein könnte, in dem der kleingeistige Lektor Hieronymus Schneidewind sein Unwesen trieb: Nachdem sich Erich Kästner 1926 von der „Neuen Leipziger Zeitung“ wegen seiner missliebigen politischen Ansichten mit dem Chefredakteur überworfen hatte, verschaffte Kästners engster Freund Leo Levitan ihm die Möglichkeit für den Ullstein Verlag, genauer gesagt für dessen Zeitung, die „Berliner Morgenpost“, zu schreiben. Es ist nur naheliegend, dass Erich Kästner wenige Tage, nachdem ihm Jule und Franzi am Heiligabend 1926 im Kreise der Familie Levitan in Berlin ihre Erlebnisse offenbart hatten, zu eben diesem Verlag gegangen war. Keine zwei Wochen zuvor hatte Jules Vater Leo Levitan ihm dort eine Stellung vermittelt. Seltsamer Weise wurde aus dieser Anstellung beim Ullstein Verlag jedoch nichts. So kann man vermuten, dass die Ablehnung seines Manuskripts bei diesem Verlag Herrn Kästner derart schwer getroffen hatte, dass er auf eine Zusammenarbeit verzichtete.
Der Ullstein Verlag residierte in den 1920er Jahren im Ullsteinhaus in Berlin-Tempelhof direkt am Teltowkanal, wo sich die Redaktions- und Verlagsräume sowie eine eigene Druckerei befanden.


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