Der Traum als einzig verfügbare Wirklichkeit
Traum und Träumen bilden die zentralen Themen des Erlebnisberichts der Levitan-Zwillinge, da gemäß einem Großteil der Bewohner der Ebenen der Traum die einzige mögliche Lebens- und Daseinsform darstellt. Aufwachen in diesem Verständnis bedeutet nicht das Aufwachen aus einem Traum, sondern immer nur das Aufwachen in den nächsten Traum. Und tatsächlich gibt es auch bei uns in der fünften Ebene keine Instanz, die es uns zu entscheiden ermöglicht, ob wir wachen oder träumen. Oder wie Herr Levitan über die absolute Totalität des Träumens pointierte: „Nichts und niemand weiß davon. Wie sollten sie es auch wissen. Wissen sie denn im Schlaf, dass sie schlafen? Kommt ihnen die Welt im Traum nicht genauso real vor wie die Welt nach dem Aufwachen? […] Und da es keiner weiß, denken alle sie sind wach! Jeder bestätigt dem anderen, dass er wach ist. Und doch schlafen wir alle. Nur einer der schon aufgewacht ist, kann sehen, dass der andere schläft. Das ist das größte Geheimnis auf Erden!“ Einzig Jule Levitan, der Große Mechanikermeister sowie der schwarze Zauberer Monsignore Moschkotani zogen ernsthaft die Möglichkeit eines Aufwachens aus jeglichem Traum in Betracht. Die Weise Schildkröte bestätigt diese Möglichkeit, führt jedoch leider nicht aus, was dieses Aufwachen bedeuten soll. Siehe dazu unten im Glossar „Traum und Träumen“, Unterkapitel „Formen des Aufwachens“.
Funktionen des Traumes
Traum als Fahrzeug und Tor zu anderen Orten und Welten
Professor Levitan spricht gegenüber Frau Siebenblatt davon, dass Jule und Franzi vom Traum verschluckt worden seien.[1] Während diese Sichtweise eher eine Zwangsläufigkeit durch eine fremde Kraft suggeriert, legt die Äußerung des „Käfers“[2] eine freiwillige Verwendung des Traumes als Fahrzeug in andere Wirklichkeiten, Ebenen und Welten nahe. Und tatsächlich können wir immer wieder beide Eigenschaften des Traumes in den uns vorliegenden Aufzeichnungen beobachten. Auf der einen Seite zum Beispiel die zwanghafte Reise Herrn Levitans und Frau Siebenblatts durch den Bauch der Riesenschlange oder Jules unfreiwillige Reise in das Kristallland der gefrorenen Zeit, auf der anderen Seite der bewusste Traum der Eltern, um in das Reich der Träumenden Buddhas zu gelangen oder Jules Reise durch den blutroten Kristall in das Reich des Fadenmannes. In diesem Verständnis stellt die gesamte Reise durch die Ebenen eine Reise von einem Traum in den nächsten dar. Wichtig zu wissen ist hierbei, womit und wie diese Reise vonstatten geht:
Der Traumkörper
Das eigentliche Fahrzeug des Traumes ist der Traumkörper. Er ist nicht das, was das Wesen der Geschöpfe ausmacht und darf auch nicht mit der Seele verwechselt werden. Im Kapitel „Zu Hause im Reich der Meereselfen“ sagen die Meereselfen zu Jule: „Ja Almina, du siehst richtig. Du hast dich nie wirklich von uns fort bewegt, sondern nur dein Traumkörper.“ Der Traumkörper ist also etwas von unserem grobstofflichen oder physischen Körper (im Sinne verdichteter Energie) Separierbares. Der Traumkörper besteht wie der physische Körper aus reiner Energie, ist allerdings höherschwingender als der physische Körper und deshalb nicht an die Trägheit, die wir Masse nennen, gebunden. Darüber hinaus ist der Traum- oder Energiekörper beliebig formbar und trainierbar, so dass er eigentlich erst für Zauberer wie den Großen Mechanikermeister, die diese Technik der Formung beherrschen, wirklich zum Fahrzeug wird. Wie Herr Levitan erwähnt, bleibt der Traumkörper durch einen silbernen Traumfaden aus reiner Energie an den physischen oder grobstofflichen Körper gebunden.[3] Wird dieser Energiefaden durchtrennt, kann der Traumreisende nie mehr, oder nur mit äußerster Schwierigkeit, den Weg zu seinem physischen Körper und damit zum Ausgangspunkt seiner Reise zurückfinden.
Die innere Stimme des Traumbegleiters
Auf den Traumreisen steht dem Reisenden ein Traumbegleiter hilfreich zur Seite, der sich als innere Stimme in kritischen Situationen immer wieder zu Wort meldet. Mehrmals berichtet Jule Levitan von diesem Phänomen. Mit dieser Stimme offenbart sich die wissende Seele, die über den Energie- oder Traumkörper zu dem Reisenden spricht. Jule lokalisiert die Wahrnehmung der Stimme über ein neues, ihr vordem unbekanntes Wahrnehmungsorgan in der Höhe ihrer Bauchgegend etwa einen halben Meter vor ihrem Bauchnabel, das sie durch ein ungewöhnliches Kribbeln bemerkte. Sie vernahm diese Stimme also nicht durch ihre Ohren oder ein anderes Organ ihres physischen Körpers, sondern mittels ihres Traumkörpers. Die Stimme des Traumbegleiters wird laut dem Gelben Delphin nur hörbar, wenn man seinen inneren Dialog der Gedanken zum Schweigen zu bringen und derart in seine innere Stille einzutreten vermag. Diese innere Stimme der Seele ist strikt zu unterscheiden von der Stimme des Drachen Morsus, dem es gelungen ist, sich in die Gehirne und Gedanken der Lebewesen einzuschleichen. Siehe dazu unten „Der Traum als Manipulationsmittel“. Daneben kann es auch Hilfsgeister geben, die einen auf den Traumreisen begleiten, hinter denen sich aber zumeist Anorganikons verstecken. Siehe dazu Glossar „Riesenflugschlange“. Hier jedoch ist äußerste Vorsicht geboten und man muss die derart erhaltenen Informationen in jedem Falle verifizieren. Stellt man im Traum einem solchen Hilfsgeist eine eindeutige Frage, dann ist er gemäß einem universal geltenden Traumgesetz gezwungen, diese wahrheitsgemäß zu beantworten.
Traum als Mittel der Weltenschöpfung und Veränderung
Der ureigenste Zweck des Traumes liegt jedoch in der Schöpfung, ihrer Veränderung und Weiterentwicklung. Dies ist sowohl die Meinung eines Großteils der Bewohner der Ebenen, als auch der hohen spirituellen Wesen wie der Regenbogenschlange und der Weisen Schildkröte. Vor diesem Hintergrund erschaffen die Träumenden Buddhas neue glückselige Welten, in denen nach ihrer eigenen Aussage „mitleidige, ehrliche und wahrhaftige Wesen ohne Negativität ein besseres Zuhause finden können“. Die Schildkröte erklärt, auf welche Weise sich die kleine Inna ihre eigene Welt erträumt.[4] Herr Levitan rettet Jule aus der kalten Einsamkeit des Nichts, indem er wie einst mit seinen Gutenachtgeschichten eine Welt für und um sie baute, in die sie sich wie in ein Nest hineinkuscheln konnte.[5] Der Mechanikermeister gibt Jule Unterricht in der Erschaffung konkreter Dinge aus reiner Energie.[6] Und die wohl nachdrücklichste Erfahrung dieser träumerischen Schöpfungskraft ist Jules Erlebnis in dem unheimlichen atmenden Zauberwald im grünen Kristall, bei dem es sich laut dem Gelben Delphin um Jules ureigenste Projektion und Schöpfung handelte.[7]
Traum als Manipulationsmittel
Die gleiche schöpferische Kraft des Traumes ermöglicht es aber auch Negativwesen wie dem Drachen Morsus, sich über den Traum in die Träume anderer Wesen einzuschleichen und diese Traumwelten gezielt zu verändern. Die wohl schockierendste Einsicht Jule Levitans war es zu begreifen, dass nicht sie, sondern der Drache Morsus in ihr dachte und sie diese kleinlichen, ängstlichen und berechnenden Gedanken das ganze Leben fälschlich immer für ihre eigenen Gedanken gehalten hatte.[8] Die Weise Schildkröte bestätigte Jules Einsicht mit ihrem Bericht von dem Überfall und der Versklavung der Bewohner der fünften Ebene durch die Drachenwesen und deren Implantierung eines Drachengehirns.[9] Siehe dazu Glossar „Reptiliengehirn“ sowie Glossar „Reptoiden“. Awillouw, die Pforte zur Wahrheit und in gewisser Weise auch Jule Levitan vertreten darüber hinaus die Ansicht, dass die ganze Welt nur der Traum eines bösen Geistes sei, in dem die Bewohner der Ebenen gefangen sind. Die einzige Lösung bestände darin, endlich aus diesem bösen Traum zu erwachen. In diesen Kontext gehört der von Herrn Levitan und Monsignore Moschkotani vertretene Glaube an ein Aufwachmittel, mit dem man aus dem universalen schöpferischen Traum der Ebenen und Welten aufzuwachen vermag. Zugleich speist sich daraus Moschkotanis Allmachtswahn, als einziges Geschöpf der Ebenen zu wachen und damit zum Alleinherrscher über die Träume der anderen Wesen zu werden.[10] Siehe Glossar „Aufwachmittel“. Schließlich bleibt noch auf das Schwarze Labyrinth der Energiespinne Ecoli zu verweisen, das die wohl schrecklichste Form der Traummanipulation der Ebenenbewohner darstellt.[11] In diesem riesigen Klumpen Schwarzen Lichts, angesiedelt in der sechsten unteren Ebene, hält Ecoli die Seelen der Ebenenbewohner gefangen, um ihre Opfer energetisch jederzeit aussaugen zu können. Derart ist sie der größte Energiefresser aller Zeiten und Ebenen. Siehe Glossar „Energiespinne Ecoli“ bzw. Glossar „Die dem Tode trotzt“. Dazu inszeniert sie Schicksalsschläge und jegliche Art von Negativerlebnissen im Alltag ihrer Opfer, der ja gemäß dem schöpferischen Traum der Ebenen ebenfalls nur einen Traumzustand darstellt. Denn nur wenn die Lebewesen leiden, produzieren sie negative Energie, von der sich die Spinne ernährt. Darüber hinaus setzt der Leidensprozess die Abwehrkräfte der Betroffenen vehement herab, so dass die Energiespinne ein leichtes Spiel hat. Ihr eigentliches Aktionsfeld zur Programmierung dieser „Schicksalsschläge“ sind jedoch die Träume der Träume, da in diesen die Widerstandskräfte der Wesen herabgesetzt sind. In ihrem Alltag tun die derart Programmierten dann Dinge, die sie in neue Leiden stürzen, ohne zu wissen, dass sie nur die im Traum wie Software-Viren eingeschleusten Programme der Energiespinne Ecoli ausführen. Als Franzi Siebenblatt und der Hampelmann Fridolin auf ihrer Reise in das Schwarze Labyrinth Ecolis geraten, erinnern sie sich ihrer Träume, in denen sie das Labyrinth bereits gesehen hatten und vermochten derart, die Manipulationsstrategie der Spinne zu durchschauen.[12]
Der Traum und der Riss im Universum
Im Laufe ihrer Reise durch die Ebenen erkennt Jule den eigentlichen Zweck der Reise, nämlich den Riss im Universum zu schließen, den viele Bewohner der Ebenen als Fehler des höchsten Schöpfers ansehen. Der Riss spaltet die Welten dualistisch in Körper und Geist, Freund und Feind, Gut und Böse, Licht und Dunkel, Vergangenheit und Zukunft und wird deshalb von vielen für das Unheil in den Ebenen, so auch für den Ausbruch des Mahlstroms, verantwortlich gemacht. Siehe dazu Glossar „Riss im Universum“. Die Träumenden Buddhas offenbaren Jule, dass der Riss ihrerseits nur durch den Schmerz zu erkennen sei, den sie selbst in sich trage. Aus dem Ansatz der Buddhas, dass alles Existierende allein ein Produkt des Träumens sei, entwickelt Jule ihre eigene Auffassung, gemäß der die Buddhas durch ihre Angst vor dem Aufwachen den Riss im Universum selber träumen und damit erzeugen.[13] Siehe dazu Glossar „Träumende Buddhas und das Orakel des Aufwachens“.
Formen des Aufwachens
Bei ihrer Begegnung mit der Regenbogenschlange stellt Jule dieser die entscheidenden Fragen zum Thema "Traum und Träumen": „Träumt die Welt? Träumen wir alle? Gibt es noch etwas anderes als das Träumen?“ Die Regenbogenschlange antwortet: „Solange ich zurückdenken kann, hat es immer nur die Traumzeit gegeben. Im Traum entsteht die Welt. Ich selbst bin so entstanden und träume die Welten weiter, wie auch du und alle andere Wesen in jedem Augenblick die Welten und Ebenen weiterträumen. Was ihr Menschen als Aufwachen bezeichnet, ist kein Aufwachen, sondern nur der Wechsel von einem Traum in den anderen.“ Jules Begegnung mit der Schönen Cloeda scheint der Regenbogenschlange Recht zu geben. Auch sie, die ja die Verkörperung aller Ebenen ist, liegt in einem tiefen Traum gefangen.[14] Und der Echogeist Anawrin meint zu Jule: „Gewiss bist du wach und dennoch träumst du, weil es in einer Welt, in der Zeit und Raum verloren gegangen sind, oder besser gesagt nie wirklich existiert haben, nur noch den Traum als Wirklichkeit gibt.“[15] Wenn der Traum ein universales, allumfassendes Phänomen und quasi den Urzustand der Schöpfung darstellt, dann erscheint der Gedanke eines Aufwachens aus dem Traum in der Tat nicht sinnvoll. Deshalb ist die Angst der Träumenden Buddhas verständlich, dass durch das Aufwachen aus dem großen Traum augenblicks die Welten untergehen und damit die Schöpfung selbst zu einem Ende kommen würde. Denn die Welten existieren ja nur durch den großen Traum, der die Schöpfung ist. Trotz dieser logischen Schlussfolgerung wird der Gedanke des Aufwachens immer wieder auf der Reise durch die Ebenen wie eine geheime Sehnsucht der Ebenenbewohner thematisiert und von Jule Levitan, Leo Levitan, dem Großen Mechanikermeister und dem schwarzen Zauberer Monsignore Moschkotani als ernsthafte Möglichkeit in Betracht gezogen:
Aufwachmittel und Rosenzauber
So war durch die weise wirkende Absicht Professor Levitan eine Aufwachrezeptur für ein besonderes Rosenöl in die Hände gespielt worden, die ein Aufwachen aus dem universalen Traum der Welten ermöglichen sollte.[16] Siehe Glossar „Aufwachmittel“. Herr Levitan hält dieses Rezept allerdings für eine Täuschung und bringt dessen Wirkung einzig mit dem Blut der Rosenfee in Verbindung, die er in Frau Siebenblatt bereits gefunden zu haben glaubt. Als das Rosenöl bei Frau Siebenblatt und Herrn Levitan seine geheimnisvolle Wirkung zu entfalten beginnt, erwachen beide jedoch seltsamer Weise nicht aus dem Traum der Welten, sondern fallen vielmehr in einen noch tieferen Traum, der sie schließlich über den Umweg der Weltenköchin zu Jule im grünen Kristall führt. Warum die vermeintliche Aufwachrezeptur die gegenteilige Wirkung hervorbringt, bleibt seltsam ungeklärt – nicht zuletzt, weil das Thema des Rosenzaubers bis hin zu Herrn von Treskow in Berlin gleichsam ungeklärt bleibt.[17] Siehe dazu Glossar „Rosenfee“. Noch verwirrender ist, dass ein Tropfen der Aufwachrezeptur auf Jules Stirn gebracht, sie hingegen tatsächlich im grünen Kristall aufwachen lässt, allerdings nicht aus dem universalen Traum der Welten.[18]
Versuchen wir zunächst die Lösung des Rätsels in der Rose selbst zu suchen: Bei Herrn von Treskow stammen die Rosenblütenblätter von einer Rose, die nie durch einen Sonnenstrahl im Erdboden, sondern allein von den Herzensstrahlen der Liebe im Ätherkörper gewachsen sind.[19] Er bezeichnet sie als die Rosenblüten der Heiligen Rosalia, einer legendären Heiligen aus dem 12. Jahrhundert. Es ist also nicht die reale Rose, sondern ihre tiefere symbolische Bedeutung in Gestalt der Liebe gemeint. Doch ist die Liebe das Mittel zum Aufwachen? Die meisten Menschen begreifen die Liebe eher als das Gegenteil.
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Schauen wir nun, ob die Rosenfee eine Lösung des Rätsels um die Aufwachrezeptur sein kann: Herr Levitan meinte ja, dass das Blut der Rosenfee, alias Frau Siebenblatt, das eigentliche Aufwachmittel sei. Dass Frau Siebenblatt die Rosenfee ist, behauptet auch Herr von Treskow. Also muss die Wirkung des Aufwachmittels mit der Rolle und Bedeutung der Rosenfee selbst in Zusammenhang stehen. Frances Berggruen, alias Franzi Siebenblatt gab mir den Tipp, mich diesbezüglich doch einmal mit der Wotan-Sage und dem bekannten Märchen von Dornröschen zu beschäftigen. Siehe dazu Glossar „Rosenfee“. In beiden Geschichten führt der Dornenstich einer Rose wie auch bei Frau Siebenblatt zu einem tiefen Schlaf bzw. Traum. Und nur die Liebe lässt Dornröschen und Sigrdrífa aus diesem erwachen.
Wenn die Liebe also wirklich das wahre Aufwachmittel sein sollte, was bedeutet dann selbiges in den Händen eines lieblosen Wesens wie Monsignore Moschkotani? Kann es auch da seine Wirkkraft entfalten? Vermutlich nicht, da der Rosenfee selbst eine wesentliche Rolle zuzukommen scheint. Welche dies ist, wissen wir leider noch nicht.
Der Traum als Gewand
Eine ahnungsvoll prophetische Aussage des Hasen wirft ein hoffnungsvolles Licht auf das Aufwachen aus dem universalen Traum der Welten: „Seht ihr Freunde. Es ist, wie ich euch sagte. Ihr alle tragt diese Gegensätze in euch. Doch macht euch keine Sorgen. Es ist nichts Schlimmes dabei. Gutes und Böses sind wie ein Gewand, das wir uns vor langer Zeit, als wir in diese Welt kamen, freiwillig angezogen haben, um hier leben zu können. Und irgendwann, wenn wir einmal nach langem beschwerlichem Weg müde geworden, legen wir dieses Gewand einfach nur ab, um befreit zu Bett zu gehen. Dann schlafen wir still und friedlich ein und wachen auf in einem besseren Traum, gekleidet in ein neues Gewand ohne Kummer und Tränen …“ Dies aber meint nichts anderes, als dass es ein absolutes Aufwachen aus dem Traum der Welten nicht zu geben scheint, sondern bestenfalls ein Aufwachen in einen anderen, besseren Traum.
Aufwachen aus den fremden Gedanken des Drachen Morsus
Unzweifelhaft ist jedoch laut der Regenbogenschlange die Möglichkeit des Aufwachens aus den fremden Gedanken des Drachen Morsus. Doch hält auch sie ein Aufwachen aus dem Traum der Welten für unmöglich. Im Gegenteil schreitet dieser große Traum ihrer Meinung nach immer weiter voran. Und selbst Morsus sei in diesem Weltentraum gefangen, obwohl er der hohe Schwarze Meister der dunklen Träume ist.[20]
Träumt oder wacht Gott
Die scheinbare Unmöglichkeit aus diesem Traum der Welten aufzuwachen, provoziert notgedrungen die Frage, ob der Schöpfer selbst schläft. So fragt Jule die Regenbogenschlange: „Aber gibt es nicht einen Gott, der alles erschaffen hat, auch die Traumzeit und damit die Welten? Der muss doch zumindest wach sein, oder?“[21] Da es nach Ansicht der Regenbogenschlange nur eine Energie im Universum gibt, aus der alles geschaffen ist, schlussfolgert sie: „Wenn Gott diese eine Energie ist, dann hat er sich selbst geteilt in unendlich viele Wesen und Dinge. Wenn diese Wesen alle schlafen und träumen, dann schläft vermutlich auch Gott.“ Jule wie auch die Regenbogenschlange vermuten deshalb, dass kein Gott ihnen bezüglich der Probleme in den Ebenen zu Hilfe zu kommen vermag, da er ja genauso hilflos ist wie seine Geschöpfe, mit denen er identisch ist. Nur ein wachender Gott könnte wirklich helfen. Die Weise Schildkröte jedoch scheint eine von der Regenbogenschlange abweichende Meinung zu vertreten: Als Jule endlich bei der Schildkröte angelangt ist, hat sie das seltsame Gefühl ,im Schoße eines großen, unvorstellbar mächtigen, gleichwohl schützenden Wesens zu sitzen, aus dem sie sich eigentlich nie fortbewegt habe.[22] Die Schildkröte bejaht Jules Wahrnehmung und meint: „Tatsächlich bist du nur in einem Traum gefangen, aus dem du jederzeit aufwachen kannst. Deine ganze Reise ist nur ein Traum. Immer warst du in Sicherheit geborgen. Keiner kann verloren gehen auf seiner langen Reise.“ Diese Aussage suggeriert ziemlich deutlich einen wachenden, scheinbar unbeweglichen Gott. Somit träumen vermutlich nur seine Geschöpfe, die sich derart der Illusion einer greifbaren, realen Wirklichkeit hingeben. Unter dieser Vorrausetzung erscheint das Aufwachen aus dem Traum der Welten grundsätzlich möglich, denn es ist ein Aufwachen aus den Illusionen. Jedoch stellt sich bei dieser Interpretation der Aussagen der Schildkröte die Frage nach dem Verhältnis des Schöpfers zu seinen Geschöpfen neu: Wenn Schöpfer und Geschöpfe identisch sind im Sinne eines Spiegels, in dem sich der Schöpfer selbst erkennt, wie soll man sich dann das gleichzeitige Wachen des Schöpfers und Träumens der Geschöpfe vorstellen? Eine Lösung scheint sich in dem Phänomen der Bewusstwerdung anzudeuten:
Das absolute Aufwachen
Professor Levitan, der von seinem wahren Wesen eigentlich ein großer alter Zauberer ist, hält den geheimen Weg zu einem absoluten Aufwachen aus dem Traum der Ebenen und damit aus dem Traum der Schöpfung selbst in den Händen:
Das geheimnisvolle Aufwach-Orakel
Als sich Jule Levitan mit den Buddhas unterhält, glaubt sie bei ihnen eine Angst vor dem Aufwachen zu erkennen, obwohl die Möglichkeit eines Aufwachens in ihrer Wirklichkeitsauffassung eigentlich gar nicht existiert. Jule konfrontiert die Träumenden Buddhas mit einem der Lieblingssätze ihres Vaters: „Wenn wir träumen, dass wir träumen, sind wir kurz vor dem Aufwachen“. Einer von ihnen antwortet erstaunt, dass es sich hierbei um das geheimste Orakel der Träumenden Buddhas handele, das jedoch keiner bisher zu enträtseln vermochte. Dieses geheimnisvolle Orakel lässt sich dahingehend deuten, dass ein Aufwachen über eine Art Bewusstwerdung durchaus möglich ist, die wiederum auf einer Selbstreflexion beruht. Das heißt, solange ich eine Handlung unreflektiert und unbewusst ausübe, kann ich sie weder beeinflussen, noch abstellen. Dies gelingt mir erst, wenn ich mir ihrer bewusst werde. Diese erstaunliche Fähigkeit der Selbstreflexion ist eine universale Eigenschaft der gesamten lebendigen Energie und beruht auf der Tatsache, dass sich Energie auf sich selbst zurückzurichten und derart ihren eigenen Beobachter zu schaffen vermag. Für unsere konkrete Frage des Aufwachens bedeutet dies: Gelingt es dem Träumer, sein ganzes Leben, also auch das angebliche Wachsein des Alltags, in ganzer Tiefe als einen Traum zu begreifen, dann erwirbt er die Möglichkeit aus diesem Traum des Lebens aufzuwachen. Der Träumer muss also begreifen, dass die komplette sogenannte Wirklichkeit der Ebenen nur einen gewaltigen Traum darstellt. Erst dann besteht für ihn die Möglichkeit des Aufwachens. Allerdings ist dieses Aufwachen an eine weitere Bedingung geknüpft, denn das Orakel sagt ja wohlweislich nur, dass man dann „kurz vor dem Aufwachen sei“, aber eben noch nicht aufgewacht ist. Und diese zweite Bedingung scheint rein energetischer Natur zu sein. Denn sie impliziert ein Aufwachen aus der Schöpfung schlechthin in Gestalt des „Traums der Ebenen“. Dies aber kann nur bedeuten, dass man aus einem energetischen Zustand in einen außerenergetischen Zustand aufwacht:
Die Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt
Interessanter Weise existiert in vielen Ebenen das mythische Sinnbild der Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt. Die verschiedensten Deutungen kursieren für dieses Symbol, die häufigste jedoch ist die des Weltumringlers: Indem die Schlange sich selbst frisst, ist sie Quelle ihrer eigenen Ernährung, aber zugleich auch für ihre eigene Zerstörung verantwortlich. Mit ihrem Biss in den Schwanz bildet die Schlange darüber hinaus einen Kreis und schließt derart die Lücke, durch die das Chaos von außen in die Ordnung der Schöpfung eindringt. In dieser Doppelbedeutung steht das Schlangensymbol als Sinnbild sowohl für die ewige Erneuerung im Sinne eines nährenden Kreislaufs aus sich selbst heraus, als auch für die Bedrohung und Zerstörung, die von innen und außen kommt. Die älteste Deutung des Symbols stammt wohl aus der neunten oberen Ebene.[23] Deren Bewohner behaupten, dass die zu einem Kreis geschlossene Schlange den Urzustand der Urenergie darstelle, also den Zustand vor der Schöpfung der Ebenen und Welten, als die Polarität und damit die Differenzen, Zeit und Raum, Anfang und Ende etc. noch nicht existierten. Diese Deutung liegt nahe, da ein Kreis keine Polaritäten besitzt und im spirituellen Sinne auch keinen Raum erschafft. Im Zusammenhang mit unserer Frage des Aufwachens erhält diese Erklärung aus der neunten oberen Ebene eine noch viel tiefere Bedeutung:
Die Lösung des geheimnisvollen Aufwach-Orakels
Gemäß der Kosmologie der Ebenen ist die Schöne Cloeda in ihrer Energiekonfiguration in jedem kleinsten Ding als Ganzheit enthalten. Diese Tatsache beinhaltet, dass das, was energetisch für alle Ebenen und damit für das ganze Universum gilt, auch für jedes Lebewesen der Ebenen gültig ist. Wenn die oben genannte Bewusstwerdung im Sinne des Aufwachens aber einen energetischen Prozess darstellt, dann wird offensichtlich, was sich hinter dem geheimnisvollen Orakel des Aufwachens verbirgt: In dem benannten Kreis als Urform der Urenergie sind alle Gegensätze, Unterschiede und Polaritäten aufgehoben. Damit besteht der Schöpfungsakt also in der Auflösung dieser Kreisstruktur durch Teilung, wodurch Anfang und Ende, Zeit und Raum und die Polaritäten entstehen. Der Kreis verwandelt sich zu einer Linie. Doch dadurch verliert die lebendige Urenergie ihre wesentlichste Eigenschaft, nämlich sich in Absolutheit selbst bewusst zu sein! Diesen Zustand der fehlenden Bewusstheit kann man auch als Schlaf oder Traumzustand bezeichnen. Der Traum versucht quasi die Lücke zwischen den Enden der Linie zu schließen, um derart wieder einen geschlossenen Kreis zu bilden. Traum in dieser Deutung ist also der Verlust der absoluten Selbstbewusstheit und zugleich die Sehnsucht nach der Wiedererlangung dieses Urzustandes mittels des Träumens. Damit ahnen wir vielleicht endlich, was der Traumzustand der Ebenen und Welten bedeuten könnte! Und damit löst sich zugleich auch das Rätsel von Herrn Levitans Aufwach-Orakels: Wie eingangs bereits erwähnt, besteht die Bewusstwerdung von Energie darin, dass Energie sich auf sich selbst zurück wendet. Richtet sich die zu einer Linie verwandelte Urenergie auf sich selbst zurück, nimmt sie die Form des Buchstaben U an. Dieser energetische Zustand ist mit dem Aufwach-Orakel zu identifizieren: „Wenn wir träumen, dass wir träumen, sind wir kurz vor dem Aufwachen.“ Warum wir nur kurz vor dem Aufwachen und noch nicht aufgewacht sind, liegt nunmehr also auf der Hand: Die Linie hat sich bisher nur gekrümmt, blickt also auf sich selbst, hat sich aber noch nicht zu einem Kreis geschlossen. Geschieht letzteres, dann wird mit dem kreisförmigen Energiezustand der Zustand der vollkommenen oder absoluten Bewusstheit erreicht. Die schöpferische Teilung in Anfang und Ende, Innen- und Außenwelt, die Unterschiede und Polaritäten sind überwunden und damit der Schöpfungsprozess selbst. Die geschaffene Urenergie ist endlich in ihren Urzustand der vollkommenen Bewusstheit zurückgekehrt und der Träumende damit aus dem schöpferischen Traumzustand der Ebenen und Welten erwacht. Und damit haben wir endlich verstanden, warum Innen und Außen, Raum und Zeit von den Weisen der Ebenen immer nur als eine Illusion bezeichnet wurden. Diese Biegung der Energie zu einem Kreis kann dabei auch wortwörtlich genommen werden, da der Energiekörper der Lebewesen tatsächlich bis hin zu einem Kreis formbar ist, wenngleich dies auf einer abstrakten Ebene geschieht. Diesen Energiekörper zu sehen und zu verformen, ist jedoch bis dato allein den Zauberern in den Ebenen möglich.
[1] Siehe Kap. „Spekulationen bei der Rosenfee in der Uhlandstraße“.
[2] Siehe Kap. „Die wundersame Geschichte vom sehnsüchtigen Käfer“.
[3] Siehe Kap. „Spekulationen bei der Rosenfee in der Uhlandstraße“.
[4] Siehe Kap. „Die Geschichte vom Tod und dem Mädchen“.
[5] Siehe Kap. „Zaubereien eines Bildes“.
[6] Siehe Kap. „Ebenen oder die Kraft unserer Gedanken“.
[7] Siehe Kap. „Gefangen im grünen Kristall“.
[8] Siehe Kap. „Durch die Nebelwand“.
[9] Siehe Kap. „Die Versklavung der Erde“.
[10] Siehe Kap. „Im Ägyptischen Museum“, Kap. „Spukereien in der Margaretenstraße“.
[11] Siehe Kap. „Das Schwarze Labyrinth“.
[12] Siehe Kap. „Das Schwarze Labyrinth“.
[13] Siehe Kap. „Zaubereien eines Bildes“.
[14] Siehe Kap. „Gefunden – Die Errettung der Schönen Cloeda“.
[15] Siehe Kap. „Unerwartetes Wiedersehen mit dem Echogeist“.
[16] Siehe Kap. „Spekulationen bei der Rosenfee in der Uhlandstraße“.
[17] Siehe Kap. „Der denkwürdige Besuch bei Herrn von Treskow“.
[18] Siehe Kap. „Gefangen im grünen Kristall“.
[19] Siehe Kap. „Der denkwürdige Besuch bei Herrn von Treskow“.
[20] Siehe Kap. „Das Lied der Regenbogenschlange“.
[21] Siehe Kap. „Das Lied der Regenbogenschlange“.
[22] Siehe Kap. „Die Antworten der Weisen Schildkröte“.
[23] In den nächst höheren Ebenen ist das Symbol seltsamerweise völlig unbekannt.
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